Haydn – Die Schöpfung – Musikkollegium Winterthur

Source: courriel du Musikkollegium, 3.6.2023, 18:29

«Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.» Oh ja, und wie! Bei der Wiener Uraufführung von Haydns Schöpfungs-Oratorium im Jahr 1799 geriet das Publikum an dieser Stelle ausser Rand und Band, und noch immer ist der Effekt überwältigend, wenn Haydn hellstes C-Dur hervorbrechen lässt. Alle ekstatischen Durchbrüche bei Beethoven, Bruckner, Mahler haben hier letztlich ihr Vorbild. Aber noch viel mehr bietet die «Schöpfung»: Wunderschöne Arien, prächtige Chorfugen, die reichste und raffinierteste Instrumentierung ihrer Zeit. Haydn hat am Ende seiner Karriere alle Erfahrungen und Mittel zusammengenommen, um einen unvergänglichen Hit zu schreiben. Dies ist ihm gelungen. Und so musste Roberto González-Monjas nicht lange überlegen, mit welchem Werk er die Saison mit dem Thema «Werden» krönen will, schildert Haydn doch das Werden unserer Welt vom «leichten, flockigen Schnee» bis zu den «grossen Walfischen». Und als Zeitgenosse der Aufklärung verzichtet er sogar auf den Sündenfall. Adam und Eva wandeln «Hand in Hand», «mit Würd’ und Hoheit angetan» und dankbar gegenüber Gott. Im Jahr 2023 wünschen wir uns zwar, dass Eva ihrem Adam ebenbürtig ist, und nicht länger nur «in froher Unschuld lächelt». Aber um Ungerechtigkeiten zu beheben sind wir ja eben mit «Stärk’ und Mut begabt».

Die Aufführung wird durch eine live gestaltete Lichtshow des Lichtkünstlers Laurenz Theinert begleitet.

Joseph Haydn «Die Schöpfung»

«Und in demselben Augenblick, als zum ersten Mal dieses Licht hervorbrach, würde man gesagt haben, daß Strahlen geschleudert wurden aus des Künstlers brennenden Augen» ‒ auf Fredrik Samuel Silverstolpe, einen schwedischen Diplomaten und geladenen Gast bei der Uraufführung von Joseph Haydns Oratorium «Die Schöpfung», wirkte der erhabene Moment der Erschaffung des Lichts überwältigend. Nicht zuletzt, weil Haydn, wie Silverstolpe weiter berichtet, die entsprechende Partiturseite streng geheim gehalten und noch niemandem gezeigt hatte.

Dieser Schlüsselstelle voraus gehen die vom Erzengel Raphael geschilderte Erschaffung der noch leeren und finsteren Erde sowie eine Ouvertüre mit der Überschrift «Die Vorstellung des Chaos». Der musikalische Verlauf ist raffiniert: Die gesamte Ouvertüre vermeidet die Festlegung auf eine klare Tonart, weil «noch nichts Form angenommen hat», wie Haydn Silverstolpe wissen liess. Erst nach der geheimnisvoll gedeckten Schilderung «Und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche der Wasser» folgt das wirkungsvoll inszenierte Erstrahlen des Lichts mit einem plötzlichen Fortissimo-Ausbruch des vollen Orchesters in der erstmalig erreichten Zieltonart C-Dur.

Die Erschaffung des Lichts vertreibt «Verwirrung» und «der Höllengeister Schar» und bereitet den Weg für die Schilderung der Schöpfung. In den ersten zwei Teilen wechseln sich Zitate aus dem Buch Genesis, rezitativisch vorgetragen von den drei Erzengeln Gabriel (Sopran), Uriel (Tenor) und Raphael (Bass), mit frei gedichteten, die biblischen Schilderungen ausmalenden Arien und Chören ab. Die Schöpfungstage (abgesehen vom ersten) werden jeweils gekrönt mit ebenfalls frei gedichtetem Gotteslob. Im dritten Teil vollzieht sich ein Wechsel hin zur dramatischen Darstellung, wenn Adam und Eva auftreten und, bestärkt von Uriel, ihre Frömmigkeit und Liebe zueinander besingen.

Der Durchbruch zum Licht gleich zu Beginn des Werks ist auch auf einer höheren Ebene programmatisch, denn «Die Schöpfung» gilt seit je als aufklärerisches Oratorium. Im Zentrum steht eine humanistische Idealvorstellung mit dem Menschen als Ziel (und unter Aussparung des Sündenfalls oder sonstiger Schuld). Dieses emphatische Bekenntnis zum Diesseits muss schon dem Publikum der Uraufführung zur Zeit der napoleonischen Kriege aufgefallen sein – und ist heute so aktuell wie damals.
Christoph Arta

Brochure MKW « Haydns Schöpfung »

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